Unter anderen Umständen
»Schatz?«
»Ich bin hier!«
Er schloss die Eingangstür hinter sich, zog seine schwarzen Wildlederhalbschuhe aus, stellte sie neben der in die Jahre gekommenen Massivholzkommode ab und schritt erwartungsvoll die makellos weißen Fliesen des Hausflurs entlang, während seine erhitzten Füße für einige Sekunden Spuren auf dem kalten Boden hinterließen, bevor sie lautlos wieder verschwanden.
Die Tür zum Schlafzimmer stand einen Spalt offen, sie erwartete ihn auf dem frisch bezogenen Bett, lediglich mit einem Spitzennachthemd bekleidet, dessen zarter, rosafarbener Träger lasziv über ihre linke Schulter fiel.
»Da bist du ja endlich!«, freute sie sich, ihn zu sehen. »Wie war dein Tag?«
»Entschuldige die Verspätung. Stressig, wenn ich ehrlich bin.«
Er schritt zu ihr ans Bett, küsste sie flüchtig, aber liebevoll auf den Mund und legte seinen Haustürschlüssel auf das Nachttischchen neben dem Kopfende, während er begann, die obersten Knöpfe seines Hemdes zu öffnen.
»Wieder der Köpke?«, fragte sie mitleidig.
Er nickte.
»Die Baubehörde stellt sich völlig quer.«
Er ließ die letzten Knöpfe an seinem Hemd geschlossen und setzte sich erschöpft auf die Bettkante.
»Entschuldige«, raunte er.
»Kein Problem. Wir müssen heute auch nicht.«
Sie setzte sich auf, schob sich den Träger an der linken Schulter wieder nach oben, krabbelte auf dem Bett hinter ihn und begann, seine angespannten Schultern zu massieren.
»Du bist ein Schatz!«, säuselte er. »Wie geht es Klaus?«
»Geht so.«
»Immer noch die Bandscheiben?«
»Genau.«
»War er mal bei Dr. Schüttner, wie ich empfohlen hatte?«
»Er hört nicht auf mich.«
»Hm«, stöhnte er und runzelte die Stirn. »Ich würde es ihm ja glatt selber sagen, aber…«
»Ich weiß. Unter anderen Umständen wäret ihr sicher gute Freunde geworden.«
Er schwieg. Einige Minuten herrschte Stille.
»Wie lief deine Lesung letzte Woche?«, fragte er schließlich interessiert.
»Oh, die war klasse!«, freute sie sich.
»Prima.«
Dann schwiegen sie wieder. Aber es war eine andere Stille als zuvor.
»Ich muss leider bald los«, sagte er schuldbewusst.
»Ich weiß«, antwortete sie verständnisvoll.
»Danke, dass du da bist«, sagte er, drehte seinen Kopf nach hinten und küsste sie innig.
»Ich danke dir«, antwortete sie, bewegt von seinen Berührungen.
Er erhob sich, knöpfte sein Hemd vollständig zu, nahm den einzelnen Haustürschlüssel vom Nachttisch und winkte ihr zum Abschied.
»Schlafen die Kinder schon?«
»Mhmh«, nickte sie.
Stille.
»Wie war dein Tag?«, fragte sie schließlich und nahm selbst einen Löffel von der Suppe, die sie ihm noch einmal aufgewärmt hatte.
»Unspektakulär«, antwortete er. »Alles gut soweit.«
»Prima«, entgegnete sie.
Isalie Nordskov, 22.02.20
